
Deutschlands liebstes Kind
Deutschland ist vor allem für eines bekannt: Verlässliche Technik, Autos und die Autobahn, auf der es, wenn nach der Ansicht der ganzen Welt geht, kein Tempolimit gibt.
Auch, wenn es in gewissen Abschnitten kein Tempolimit gibt, wird man anderweitig ausgebremst. Mittlerweile ist das ganze Straßennetz marode und zahlreiche Dauerbaustellen und Ewigkeitsprojekte vermiesen die Reise mit dem liebsten Kind auf achtzig oder weniger Kilometer pro Stunde.
Viele versuchen, das auf anderen Strecken wie der Landstraße oder in Ortsbereichen wieder wettzumachen. Die Folge: Viele Unfälle, die überhöhter Geschwindigkeit geschuldet sind. Immer wieder kocht das Tempolimit auf Autobahnen in der Politik hoch, es folgen Bewegungen und Demonstrationen, die sich mit dem Für und Wider beschäftigen.
Faktum ist: Überhöhte Geschwindigkeit ist der häufigste Grund für tödliche Unfälle. Hinzu kommt ein immer größerer Verwaltungsapparat von Einsatzkräften, der nötig ist, um sich um die Verhütung, Verminderung als auch die Folgen der Unfälle zu kümmern.

Geschwindigkeitsüberwachungen verursachen hohe Personalkosten, und das Fahren von Streife von uniformierten und Zivilpolizisten verschlingt Unmengen an Ressourcen. Der Nutzen ist relativ gering, da sich die Szene der Raser nicht davon beeindrucken lässt und es eine gewaltige Dunkelziffer an geschehenen Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten in schlimmeren Fällen gibt, zu deren Ahndung es nie kommt.
„Wir müssen diesen riesigen Apparat endlich entschlacken, uns der Technik bedienen und die totale Verkehrsüberwachung einführen.“
Volker Wissing (FDP), Bundesminister für Digitales und Verkehr
Dem will das Bundesministerium für Digitales und Verkehr nun entgegenwirken. Die Thematik des Tempolimits spielt da überraschenderweise überhaupt keine Rolle mehr, auch wenn sie Auslöser, Dreh- und Angelpunkt davon sein mag.
Mit KI gesteuerte Technik
Das bedeutete einen gewaltigen Schritt in die Zukunft. Ein Schritt, den Deutschland in den letzten Jahren zwar wagte, nur aber rückwärts oder seitwärts.
Nach Erbringung dieses Vorschlages hat der Bundestag überraschend einige Milliarden Euro Etat zugesagt und aus einem geplanten Schritt einen Sprung gemacht.

Eine halbe Milliarde Euro kostete schließlich die Entwicklung von KASSE (KI-gesteuerter Algorithmus zur Systematischen Sünder-Erfassung).
KASSE ist eine künstliche Intelligenz, ein vollautomatisch agierendes Überwachungsprogramm mit der totalitären Kontrolle über alle relevanten Systeme, die mit dem Digitalen und der Infrastruktur in Verbindung stehen.
Menschliches Personal dient nur noch zur notwendigen Wartung des Programms und der Serverräume, etwa, wenn eine Festplatte ausfällt und ersetzt werden muss.
Für gewöhnlich sind die Bußgeldstellen auf unterschiedlichen Ebenen tätig. „Dieser komplette Verwaltungsapparat wird aufgrund von KASSE wegfallen. Ansässige Dienststellen werden zu Rechenzentren umgebaut werden. Allein damit werden wir zig Tausende Menschen entlassen und Millionen an Personalkosten einsparen können – und das jeden Monat.“
Das steckt dahinter
Der dazu benötigte Chip ist universell für jeden Motortyp einsetzbar und kann rasch in alle motorisierten Kraftfahrzeuge und -räder integriert werden. Der Chip programmiert sich selbst, sobald der Motor das erste Mal gestartet wird und eine Verbindung mit der Zentrale aufgebaut wird. Für die Ortung setzt man das in den 1970er Jahren vom US-Verteidigungsministerium entwickelte NAVSTAR GPS ein, das überall verkürzt als GPS (Global Positioning System) bekannt ist und auch in jedem handelsüblichen Navigationsgerät oder Smartphone Verwendung findet.

„Für den reibungslosen Ablauf werden noch ein paar Programmkomponenten des Nachrichten- und Geheimdienstes verwendet“, heißt es weiter. „Das System wird bei Bedarf an vorhandene Überwachungssysteme gekoppelt und loggt sich bei Notwendigkeit auch in andere Systeme ein, wie etwa Smartphones oder Notebooks. Das wird dann etwa bei Verfolgungsjagden der Polizei angewandt, um einen Flüchtenden schnell fassen zu können“, heißt es in einem Interview mit einem der Chefentwickler des Projekts.
Alles geschieht vollautomatisch, vollautomatisiert und in Echtzeit. „Sobald ein Automobil oder Motorrad bewegt wird, beginnt die Aufzeichnung von individuellen Verhaltensprofilen. Jede Sekunde und jede Millimeter wird aufgezeichnet, um auch schon im Vorfeld beispielsweise ein unerlaubtes Straßenrennen zu erkennen. Fährt jetzt ein Verkehrsteilnehmer statt erlaubter 70 Kilometer pro Stunde plötzlich 71 oder beschleunigt unerlaubt auf 75, registriert das die künstliche Intelligenz innerhalb von weniger Millisekunden und bucht das festgelegte Bußgeld sofort vom Konto des Kraftfahrzeuginhabers ab. Dafür braucht es nicht einmal die schriftliche Einwilligung des Verkehrsteilnehmers, was uns das ganze Unternehmen erleichtert.“

Bis dahin müssen natürlich noch alle Daten mit den Einwohnermeldeämtern und Datenbanken aller sozialen Netzwerke abgeglichen werden und einige Tests durchlaufen werden, doch ist das System schon lauffähig.
Um das System auf höchster, totalitärer Effizienz spätestens Januar 2024 anlaufen laufen lassen zu können, werden noch 2023 alle Fahrzeuge diese Nachrüstung erhalten. Die Satellitenüberwachung von KASSE meldet sofort der nächstgelegenen Polizeistreife, wenn sich ein nicht gechiptes Kraftfahrzeug bewegen sollte. Ein Entfernen oder eine Modifikation des Chips wird einem unerlaubten Tuning gleichgestellt und hat die sofortige Löschung der Betriebserlaubnis, eine Geldstrafe und fünf Jahre Haft zur Folge.
Höhere Strafen, dafür keine Punkte
Weiterhin werden alle Eintragungen im Bußgeldkatalog drakonisch erhöht. Kostete die Übertretung in einer 30er-Zone um elf bis fünfzehn Kilometer pro Stunde bisher noch fünfzig Euro Strafe, so will man das nun auf das Vierfache ansetzen, also zweihundert Euro, alles mittels direkter Abbuchung vom Bankkonto.
„Mit der Vervierfachung aller Geldbußen wollen wir jeden Verkehrsteilnehmer dafür sensibilisieren, sich an das geltende Gesetz zu halten. Fahrverbote an sich gibt es nicht mehr“, sagt Wissing. „Um den Apparat der Überwachung und somit das Personal weiter zu entlasten, entfällt hierfür ebenso das Punktesystem.“
Das bereits 1974 eingeführte Fahreignungsregister des Kraftfahrt-Bundesamts in Flensburg wurde mehrmals reformiert – nun soll es ganz wegfallen und einem weiteren Rechenzentrum weichen.

Wenn es keine Fahrverbote mehr gibt, bleibt nur noch die Frage, wie man notorischen Rasern Einhalt gebietet, die es sich schlichtweg leisten können, Strafen zu bezahlen. Ein rechtsfreier Raum für Reiche?
„Mitnichten“, weiß Minister Wissing zurück. „Verkehrsteilnehmer, die permanent gegen Verkehrsregeln verstoßen, werden mit stets steigenden Kosten zur Kasse gebeten. Denn nicht nur ist eine generelle Vervierfachung aller Bußgelder vorgesehen, sondern zudem eine Verdopplung des Betrages bei jeder Wiederholungstat – ad infinitum.“ Das bedeutet, dass selbst einem unbekümmerten Millionär irgendwann die Freude am Gaspedal nur noch in die Armut befördern wird.
All das damit erwirtschaftete Geld fließt in die weitere Entwicklung von KASSE, und in den Bau und Erhalt der ganzen Infrastruktur, sowohl in die asphaltierten als auch besonders in die digitalen Straßen und Netze.
Zukunftspotenzial
„Das System kann sogar noch mehr“, zeigt sich Volker Wissing stolz. „Da KASSE jedes Kraftfahrzeug registriert und permanent den Zugriff auf alle zugänglichen Videokameras verfügt, kann man auch Routineuntersuchungen durchführen, wie es bei einer Verkehrskontrolle der Fall ist. So wird etwa der Fahrer und dessen Familie und Freundeskreis überprüft, ebenso, ob das Auto ordnungsgemäß angemeldet ist, die notwendigen Steuern entrichtet sind, TÜV und AU gültig sind und ob ein adäquater Versicherungsschutz besteht.“
In einem weiteren Schritt will man sogar so weit gehen, mit einem Chip-Update das Automobil automatisch von KASSE stillzulegen, sobald sich der Verkehrsteilnehmer in einem nicht mehr für den Straßenverkehr vertretbaren Zustand befindet. Etwa, weil das GPS ein Fahren in Schlangenlinien feststellt, oder ein stets zu abruptes Abbremsen und Beschleunigen an Ampeln.

„Anwendungsbereiche sind hierfür vielfältig und werden ausgeweitet“, heißt es weiter. „Egal ob den Verkehrsfluss behindernde Langsamfahrer, die Staus verursachenden Linksschleicher auf der Autobahn oder auch Elefantenrennen, bei denen ein Lastkraftwagen einen anderen mit nur minimalen Geschwindigkeitsunterschied überholt.“
Mit der totalen Verkehrsüberwachung und totalitären Strafverfolgung mittels Direktabbuchungen werde man derartige Dinge im Keim ersticken. Mehr Einnahmen bedeutet bessere Entwicklung, und eine bessere Entwicklung bedeutet wiederum mehr Einnamen, da KASSE schneller und effizienter arbeitet. Ein Kreislauf, der Richtung Zukunft weist.
Dann heißt es in Zukunft also doppelt aufpassen, auch wenn jemand anderes auf jemanden aufpasst.
bbq;
Bildquellen:
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- Die Radarfalle: Kat1100, Wikipedia
- Die Kameras: Photo by Shane Aldendorff on Pexels.com