Respekterschlaffung trotz Bewaffnung

Unbescholtene Bürger fürchten um ihr Leben, Demonstrationen arten in Kriegsschauplätze aus. Die Exekutive wird mit unzureichenden, veralteten Gerätschaften ausgerüstet und darf sich selbst dann nicht damit zur Wehr setzen. Die Folge: Immer mehr Einsatzkräfte, die für den Schutz des Bürgers abgestellt sind, sind oft schutzlos und werden beim Einsatz verletzt.
»Die bisherigen Ergebnisse sprechen für sich«, sagt die Bundesministerin des Innern und für Heimat erst kürzlich nach dem tragischen Ende eines Einsatzes, bei dem ein Polizist des SEK von einem Reichsbürger erschossen wurde. »Wir dürfen nicht länger zusehen, wie organisierte Kriminalität und Waffengewalt immer mehr steigt und die Sicherheit von Land und Leben gefährdet.«
Ein Toter ist eine Tragödie, einhundert Tote eine Statistik. Um das ausgelotste Maß der Toleranz zu erkennen und den akuten Handlungsbedarf aufzuzeigen, braucht es jedoch keine weitere Statistik, noch weniger Stagnation und Sturheit beim Umsetzen einer härteren Exekutive. Deshalb wird nun durchgegriffen.
»Ein Krimineller, der sich ein Sturmgewehr und Munition im Darkweb kauft, wird sie anwenden. Dem müssen wir entgegenwirken.«
Bundesministerin für Inneres und Heimat
»Da wir mittlerweile amerikanische Verhältnisse haben und so Bürger mit besserem Arsenal aufwarten als Einsatzkräfte, ist es nötig, aufzurüsten. Es ist nicht akzeptabel, Polizisten mit schlichten Pistolen auszurüsten, während Reichsbürger mit Sturmgewehren auf sie schießen«, so ein Sprecher des Ministeriums.

Um das mangelnde Kontingent möglichst schnell auszugleichen, setzt man auf naheliegende Praxis. So werden bei Durchsuchungen und Konfiszierungen gefundene Waffen nicht in der Asservatenkammer zum Verstauben verschlossen, sondern direkt von den Beamten übernommen. »Bereits jetzt fahren Beamte von Polizei und Zoll mit Armbrüsten, abgesägten Schrotflinten und Raketenwerfern ihre Streife.«
Waffen. Jede Menge Waffen.
Mithilfe eines sofort zugesagten Budgets von siebenundzwanzig Milliarden für Waffen, Munition, Schutzausrüstung, Material, Spezialwerkzeug, neuester Technik wie Schutzhelme mit integrierten Zielhilfen – sogenannten Aimbots – und spezieller Ausbildung und experimentellen Exoskeletten will man die Sache angehen und somit die stets größere Keule schwingen.
Begonnen mit Aufstockung, Aufwertung und Austausch der vorhandenen Ausrüstung. Man nutzt, was genutzt werden kann. Gestoppt wird auch die Zweckentfremdung oder Nichtbenutzung.
Bestes Beispiel hierfür die von Remington Arms hergestellte Remington 870, eine Pump-Action Shotgun. In der wortkargen Bundeswehr nur als Mehrzweckflinte 1 bekannt und trotz »Mehrzweck« im Namen nur dafür verwendet, um Türschlösser aufzuschießen. Damit ist jetzt Schluss, und der Schuss richtet sich mehr als gegen ein Schloss.
Die Bundeswehr verwendet das Kaliber 12/76 – 12 Schrotkügelchen in einer Hülsenlänge, die 76 Millimeter lang ist. Nachdem Verbrauch dieser herkömmlichen Munition werden explosive Patronen verwendet. Die Wirkung dieser Dragonbreath rounds und enthaltenen Magnesiums ist enorm und kann Temperaturen von 1,650 bis 2.200 Grad Celsius erreichen und Material wie Mensch entzünden.

Der nächste Schritt ist die Aufstockung auf die vollautomatische AA-12 Fully Automatic Shotgun. Da die Dragonbreath rounds aber nicht ausreichend Rückstoß erzeugen, um den Lademechanismus anzutreiben, wird man bei der AA-12 auf herkömmliche Explosivmunition setzen.
Bis bisherigen Pistolen von Heckler & Koch wie die HK P8 für die Bundeswehr und die HK P30 für die Zollverwaltung, Bundespolizei und das KSK werden nach und nach durch Pistolen mit Halb- oder Vollautomatik wie die Glock 18, wahlweise auch Glock 40 (mit 10 mm Auto), um eine möglichst hohe Mannstoppwirkung zu erzielen.
Das stachelte die Truppe sogar zu einem kleinen Wettkampf an, wer die größere Wumme zum Dienst mitnimmt. »Je größer das Kaliber, desto lieber« ist das neue Motto, und es wurden auch schon Einsatzkräfte mit Uzzis, Wurfmessern und sogar Zweihandschwertern und Morgensternen gesichtet.
»Wir wollen von einer Mannstoppwirkung zu einer Gruppenstoppwirkung aufrüsten«, heißt es dazu in einem offiziellen Video, bei der der Verteidigungsminister selbst fünf als gewalttätige Demonstranten verkleidete Puppen mit einer einzigen Salve komplett niedermähte.
Jeder Beamte soll auch selbst die Handfeuerwaffe wählen können – abgesägte Schrotflinte, Pistole oder auch Revolver. Gerne auch beidhändig, im als Akimbo bekannten Modus. Da ist das Zielen zwar schwieriger, doch macht das die Automatik wieder wett. »Es gibt bereits unzählige Anfragen für großkalibrige Handfeuerwaffen wie den Smith & Wesson Model 500 Revolver oder die Desert Eagle«, heißt es vom Ministerium.
Statistik in Resultaten: Weniger Straftaten
Zufrieden und zuversichtlich gibt sich der Polizeipräsident. »Bereits jetzt verzeichnen wir einen erheblichen Rückgang an Straftaten. Demonstrationen fallen weitaus friedliche aus; von tausend Demonstranten wurde kein einziger handgreiflich. Kleinere Pöbeleien und Beleidigungen gab es freilich. Mangelndem Respekt half man aber gleich bei mit einer ins Gesicht geleerten Dose Pfefferspray und gleichzeitigem Elektroschocker in Augenhöhe.«
Man sieht also – die Gewaltbereitschaft nimmt rapide ab, wenn man die Konsequenz des eigenen Handelns sofort zu spüren bekommt. Respektlosigkeitsretourkutsche nennt sich das im Fachjargon. Warfen Demonstranten früher Backsteine oder Molotowcocktails, so belassen sie es jetzt beim Herumfuchteln mit Fäusten, offensiven Gesten, lauten Rufen und dem Hochhalten von Schildern – eben so, wie es Demonstranten machen sollten.
Der einkehrende Frieden kommt nicht grundlos.
Hochgeloben: Konventionen aufgehoben
»Womöglich ist die plötzliche Friedlichkeit den strategisch positionierten Scharfschützen geschuldet. Die haben strikte Anweisung, jeden ausholenden Steinewerfer mit einem gezielten Schuss. Wir nennen die Herangehensweise Schlichten durch Hinrichten.«
Manch Wutbürger, Gutbürger und Nicht-runter-Würger mag das als etwas heftig ansehen. Nicht so ein Sprecher des Ministeriums: »Sehen Sie es so. Ein Backstein wiegt zwei Kilogramm. Wer einen Stein mutwillig nach einem Menschen oder in eine Versammlung wirft, nimmt billigend und willentlich eine Tötung in Kauf.«

Anstatt daher für einen Messerstecher fünf Schuss zu verschwenden, ehe dieser einen Beamten angreift und einen Familienvater, Staatsbürger und Hüter von Gesetz und Ordnung verletzt, genügt nun ein Schuss. »Eine Explosivpatrone hat mehr Wirkung als das Standardkaliber von neun Millimeter. So werden wir bereits in den ersten vier Wochen dreißig Prozent Kosten einsparen«, heißt es weiter.
Das freut den Steuerzahler. Grundsätzlich war die Munition der Einsatzkräfte bisher so konzipiert, bei einem Treffer keine weiteren Schäden und kein unnötiges Leid zu verursachen. Durch das Aufheben aller Restriktionen wie vergleichsweise Genfer Konventionen, die nur schonen und nicht lohnen, werden bei großen Ausschreitungen zukünftig 12,7 mm / .50 BMG die generelle Antwort sein.
Ob Polizei, Zollbehörde, deren GSG9, KSK oder die Bundeswehr – sie alle schöpfen zukünftig aus dem gleichen Pool und gleicher Waffenkammer. Die Bundeswehr nutzt das Barrett M82, das als G82 und unter dem unspektakulären Namensgebung »Gewehr großer Reichweite« geführt wird. »Das hat nicht genug Zunder. Gewaltbereiten Demonstranten muss schon im Vorfeld signalisiert werden, gegen wen sie die Hand erheben, und was der Preis waffengestützter Proteste ist. Daher wird die Waffe unter dem richtigen Namen Barrett M82 geführt.«
Scharfschützen vor Ort und dort, wo sie nützen
Die Regierung genehmigte den Kauf von insgesamt eintausend solcher Anti-materiel Rifle, kurz AMR. Diese Art Gewehre werden zur Bekämpfung leicht gepanzerter Fahrzeuge und hinter Deckungen befindlichen Gegnern eingesetzt. Den Kauf machte man möglichst publik auf den sozialen Netzwerken.

Die Begründung: Unter gewaltbereiten Demonstranten wandeln viele Waffenkenner und Reichsbürger, die fundierte Waffenkenntnisse besitzen. Allein der Name von Waffen hat Abschreckwirkung. Um die Einsatzkräfte bei unübersichtlichen Menschenversammlungen nicht unnötig zu gefährden, investierte man vor allem in solche Waffentechnik und in die Ausbildung weiterer Scharfschützen.
»Wer seinen Unmut nicht mit Worten kundtut und den Dialog mit der Gewalt sucht, der wird noch in diesem Quartal eine 12,7 Millimeter im Durchmesser fassende Antwort bekommen.«
Bundesministerium der Verteidigung
Die Frage quoll empor, ob es nicht etwas zu weit gegriffen ist, hochkalibrige Scharfschützengewehre und Kriegswaffen gegen Zivilisten einzusetzen. »Überlegung gab es auch zu unserer Seite«, heißt es von den Ministerien. »Aber eher, ob das überhaupt ausreicht. Deshalb entschied man sich dazu, nach Verbrauch der gewöhnlichen Geschosse ausschließlich HEIAP – Munition einzusetzen.«

HEIAP steht für high-explosive incendiary/armor-piercing ammunition und beschreibt eine Patrone und Brandmunition, die explosiv und panzerbrechend ist. Geschosse dieser Art sind das Ultima ratio der Munition. »Gewaltbereite Radikale sind bereit, jeden Schritt zu gehen. Wir begleiten sie beim letzten Schritt.« HEIAP sind nicht nur Schlichter und Richter, sondern Hinrichter und Vernichter.
Um für alle Szenarien gerüstet zu sein, investierte man in erhebliche Vorräte von Teilmantelgeschossen. Sogenannte Dum-Dum- oder Deformationsgeschosse. Anders als Vollmantelgeschosse, die Ziele durchdringen, sind bei diesen Patronen nur zum Teil von einem harten Material – zumeist Kupfer – überzogen. Das Blei liegt bei diesen Geschossen an der Spitze frei. Beim Aufprall verbeult sich die Spitze pilzförmig und zerlegt sich selbst und das fleischliche Ziel. Glatte Durchschüsse und Streifschüsse als Warnung sind veraltete Maßnahmen von gestern. Die erste Warnung ist das Ziehen der Waffe, die zweite und letzte Warnung das Entsichern.
Erstaunlicherweise blieb der große Aufschrei in der Bevölkerung aus, obwohl man damit rechnete. Auch, wenn sich viele fragten, ob der Einsatz von Kriegsmunition das Maß an Gewalt nicht etwas sprenge. »Das Maß nicht, nur den Angreifer«, lautete da die Antwort vom Ministerium. »Die Frage nach Moral sind nicht dem Beamten hinter dem Visier, dem zu Beschützenden oder uns zu stellen – sondern die auf Gewalt getrimmten Individuen, die als Argumente mit Steinen werfen.«
Kommt man um was nicht herum, heißt es para bellum
Der ungewöhnliche Name Dum-Dum-Geschoss verankert sich in der Geschichte. Dum Dum ist eine Stadt im Norden von Kalkutta in Indien. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stellte dort eine Munitionsfabrik Gewehrpatronen mit Teilmantelgeschossen für die britischen Kolonialtruppen her.
Durch die Haager Landkriegsordnung ist im Krieg die Verwendung von Deformationsgeschossen verboten. Sie fallen unter die Kategorie von Geschossen, die geeignet sind, unnötige Leiden zu verursachen.

»Natürlich ist der Kriegszustand noch nicht ausgerufen«, heißt es von Seiten des Ministeriums. »Aber weit entfernt ist man davon nicht. Deshalb heißt unser neues Motto: Si vis pacem, para bellum – wenn man Frieden will, muss man sich zum Krieg rüsten. Und wir sind nicht untätig. Wie man aus Fällen in den Vereinigten Staaten von Amerika sieht, bei dem die Einsatzkräfte zusahen, anstatt zu handeln, ist ein Umdenken notwendig. Wir ergreifen die Initiative. Es ist schon traurig genug, dass es einen Wikipedia-Artikel gibt, der sich den Massenschießereien in den USA widmet. Dem Vorbild der Waffengewalt folgen wir, dem Rest nicht.«
Es war es schon lange an der Zeit, der Waffengewalt Einhalt zu gebieten. Und das funktioniert am besten, wenn man mit einer größeren Keule als der andere aufwartet.
ap;
Bildquellen:
- Die Patronen – MasterTux, Pixabay
- Das Blaulicht – Photo by Pixabay on Pexels.com
- Der Revolver, Modell „S&W500“ – (Link) (CC BY-SA 4.0)
- Der Molotovcocktail: Marek Peters / www.marek-peters.com, Wikipedia
- Die Waage – Photo by Sora Shimazaki on Pexels.com
- Das Barrett M82 – US Army, Wikipedia (Link) (Public domain)
- Die Einsatzkräfte – Photo by Alotrobo on Pexels.com