Nach Telegram Premium: WhatsApp zieht mit Premium-Abo für 10 Euro nach

What’s up, WhatsApp? (Photo by Anton on Pexels.com)

Wenn das Produkt nichts kostet, bist du das Produkt

Wie einfach waren doch die Zeiten, als es noch keine Klugfernsprechapparate gab. Die einzige Form der Kommunikation war ein teurer Anruf auf dem Festnetz, oder eine elektronische Nachricht von und für diejenigen, die sich schon Internet leisten konnten.

Ein paar Jahre später besaß ein Großteil zumindest ein Handtelefon – Handy – und war überall erreichbar. Zur Not konnte man den Kurznachrichtendienst Short message service, SMS, nutzen, um eine 140 Zeichen lange Nachricht zu schicken. 89 Pfennig kostete das damals. Die niedrigste Aufladung belief sich auf 15 DM, womit es galt, hauszuhalten und eine Zeitlang auszuhalten, bis es das nächste Taschengeld gab oder es in späteren Jahren einer Zuckermutter nach Süßem bedurfte.

Kurz und effizient war eine Nachricht. Man entfernte Kommata, aus einem „und“ wurde das Und-Zeichen &, das „vielleicht“ kürzte man zu einem „vllt“.

Bis das Internet rasant an Geschwindigkeit zunahm und Klugfernsprechapparate, Smartphones genannt, Mitte der 2000er Jahren das Leben änderten. Das Internet legte Quantensprünge hin, die klugen Handtelefone zogen mit immer größeren Bildschirmdiagonalen nach. Erste Flachraten für Telefonie gab es 2004 auf, das Kontingent des mobilen Internets schwoll jedes Jahr um mehrere Gigabyte an.

Relikte aus einer ruhigen Zeit. (Photo by Pixabay on Pexels.com)

Im Vergleich zu früher ist alles unendlich schnell. Vor zwanzig Jahren schickte man für fünfzehn DM noch vielleicht zwanzig Nachrichten via SMS, heute kann man für fünfzehn Euro im Monat (!) Terabytes an Daten aus dem Internet ziehen und schicken. Niemand braucht mehr einen Datenträger zu Hause, es wird alles aus der Wolke geströmt, in kristallklarer Brillanz von Superhochdefinition.

Das Schreibverhalten hat sich sicherlich verändert. Es werden nicht mehr Informationen ausgetauscht, es wird das Leben ausgetauscht und geteilt. Der morgendliche Kaffee bei Sterndollar, die hochgelegten Füße in der Mittagspause, der Besuch im Fitnessstudio. Alles wird geteilt, gepfostet, gezeigt. Mit allem wird geprahlt und man stellt zur Schau, was man kann, gezeigt, was man ist – oder sein will.

Eine zentrale, unverzichtbare Rolle spielen da die Botengänger. Messenger, von denen es eine schier unüberschaubare Bandbreite gibt. Signal, Viber, Draht, Bösr, Zwiespalt, Dreima, WhatsApp, Telegram, Skype, Linie, ICQ neu als Neuauflage des alten ICQ-Messengers (Uh-oh!). Jedes Jahr scheint ein neuer Botengänger zu erscheinen. Alle prahlen sie mit Sicherheit, Schnelligkeit, Schutz der Privatsphäre und anderen tolle Funktionen. Bewiesen in Tests, die unter eigens festgelegten Bedingungen stattfanden und alle anderen Botengänger schlecht dastehen lassen.

Kann es je nur einen geben?

Zwei davon stechen besonders heraus und liefern sich seit Jahren ein Wettrennen: das lethargische Urgestein WhatsApp und die Innovationsrakete Telegram. Am Alter von WhatsApp (immerhin gibt es den Messenger mit dem grünen Symbol seit 2009) merkt man auch die Eingefahrenheit, die sich in der Sturheit gegenüber jedweder Innovation widerspiegelt. Das macht sich der blaue Mitstreiter zunutze, umarmt alles und wartet mit jedem Update mit neuen Features auf. Hip wollte man sein – und traf genau den Nerv der Zeit.

Kräftemessen(ger). (Photo by Gratisography on Pexels.com)

Einen kräftigen Schub an Ressourcen für ein finanzstarkes Rückgrat erfuhr WhatsApp im Jahre 2014. Da erwarb Meta (damals noch Gesichtsheft) den Botengänger für 22 Milliarden Dollar. Viele sahen darin eine große Verletzung ihrer nicht vorhandenen, bestenfalls vorgegaukelten Privatsphäre. Schließlich kauft niemand ein Produkt für eine solch exorbitante Summe und bietet es dann umsonst an, wenn er nicht mit dem Gedanken spielt, diese Summe aufs Mehrfache wieder zu erwirtschaften.

Da es aber nicht ohne Messenger geht und eine Kommunikation via E-Mail und SMS oder gar einen Anruf und persönliches Wort schon nahezu ausgestorben war, selbst damals, brauchte es Alternativen.

Die Konkurrenz schläft

Threema, gegründet 2012 und aus der Schweiz, erfuhr durch die Übernahme von WhatsApp durch Meta einen Anstieg der Nutzerzahlen. Für heutige Verhältnisse erscheint das damalige Angebot ein lachhaft preiswertes Schnäppchen: Verlangt wurden einmalig drei Euro, um eine lebenslange Lizenz zu erhalten. Jetzt, zehn Jahre später, 2022, ist ein solches Szenario nicht mehr vorstellbar. Heute läuft keine Applikation, kein Summieren-Ans (im Fachjargon Add-Ons genannt, Erweiterungen) oder digitaler Atemzug mehr ohne einer monatlichen Premiumgebühr oder zumindest dem Hinweis darauf, dass es Einschränkungen einem Nichtzahlenden gegenüber gibt.

Damals war das ein Novum. Die lange antrainierte Mentalität des Parasiten Mensch verbietet es nach wie vor, für ein Produkt zu bezahlen, von dem man abhängig ist und das man täglich stundenlang nutzt. Man ist es gewohnt, das Produkt zu sein und mit seinem digitalen Leben zu bezahlen.

Ein Wettlauf im Digitalen. (Photo by Lukas on Pexels.com)

Immerhin bewegte die milliardenschwere Übernahme von WhatsApp durch Meta einen Teil der Nutzer dazu, ihr WhatsApp-Konto zu löschen und zu Signal der Signal-Stiftung zu wechseln. Signal erschien im vierten Quartal von 2019, also wenige Monate nach dem Ankauf und gerade zur rechten Zeit, wie es schien. Ein großes Umdenken blieb aus, obwohl Signal ebenso kostenlos angeboten wurde und sich durch Spenden finanzierte. Auch heute ist das noch so. Signal bietet die Option, für fünf, zehn oder sogar zwanzig Euro monatlich (!) für absolut keinerlei Mehrwert ein optionales Spendenabzeichen in seinem Profil anzuzeigen und in der relativen Gewissheit zu leben, seine Daten sicher, oder zumindest nicht in den Händen und unter den Augen eines anderen zu wissen.

Grüne Masse gegen blaue Klasse?

Schnell war klar – Signal würde WhatsApp nicht das Wasser abgraben, sondern im Burggraben ertrinken. Erst unbekannt und als Rebell aus Russland belächelt, mutierte dafür Telegram in den letzten Jahren immer mehr zum ernsten Gegner. Dem grünen Platzhirsch bot der Botengänger mit russischen Wurzeln die Stirn, den Nutzern aus aller Welt immer mehr Features und etablierte sich als Trendsetter. Sticker, konsekutiv und optional schneller abgespielte Sprachnachrichten, eingebettete GIF-Funktion. Wenn es möglich war, machte man es.

So wurde der Dunkelmodus bei Telegram samt individuell erstellbarer Motive bereits Januar 2017 eingeführt. WhatsApp pries die neue Funktion (ohne eigene Motive) im März 2020 an, als wäre es eine Weltneuheit. Zahlreiche Blogs kündigten es schon Monate vorher an und trieben den Hype weiter an. Es war ja doch ein gigantisches Unterfangen, selbst für eine billiardenschwere Mutterfirma wie Meta, einen einzelnen Farbwert von Hell auf Dunkel zu setzen und kostete der Firma Millionen, zusätzliche Programmierer dafür einzustellen.

Zweiter Gewinner ist immer erster Verlierer. (Photo by Lukas Hartmann on Pexels.com)

Sticker gibt es bei Telegram seit Januar 2015 (animierte seit Juli 2019), eine rudimentäre Funktion für Sticker wurde bei WhatsApp erst Oktober 2018 eingeführt. Nachrichten mit Zerstörungstimer richtete man bei Telegram 2013 ein, bei WhatsApp gerade Mal sieben Jahre später, seit November 2020.

Weitere Features wie direkte Bildbearbeitung oder fehlen bei WhatsApp nach wie vor, dafür punktet es im Reiter Status – dort kann man für 24 Stunden sein Frühstück, einen sinnfreien Sinnspruch oder auch erregten Geschlechtsorgane posten.

Lediglich bei der Videotelefonie hinkte Telegram Jahre nach; Videotelefonie führte WhatsApp November 2016 ein. Erst August 2020, zum siebten Geburtstag von Telegram, zog die Funktion auch bei dem Botengänger nach, dessen Firmenadresse und Interesse, auf Verfahren des Bundesamtes für Justiz zu reagieren, irgendwo im Nirgendwo in Dubai in einem Hochhaus im 23. Stockwert liegen.

Die Liste der Funktionen ist immens. Telegram zieht immer als Pionier voraus und etabliert sich einer Festung gleich. Wer von Grün auf Blau wechselt, fühlt sich erst einmal erschlagen, und wer von Blau auf Grün wechselt, fühlt sich allen Komforts beraubt und hat das Gefühl, es nur noch mit dem rudimentären Gerüst eines Botengängers zu tun zu haben.

Telegram prescht auch in umstrittenen Ären voraus: Als erster Botengänger der beiden großen Größen führt er nun Premiumfunktionen ein, die er unter dem kreativen Namen Telegram Premium an den Mann bringt.

Man kam nicht herum um Premium

Was Meta als Mutter von WhatsApp, Sofortgramm und Gesichtsheft locker aus der Hüfte stemmt, scheint es bei Telegram anders. Das Projekt begannen die Brüder Nikolai und Pawel Durow. Letzterer finanzierte das Projekt. Geld schien nicht das Problem zu sein; Durow, der nach Problemen mit der Regierung Russland ins Exil verließ, spendete auch eine Million US-Dollar an Wikipedia. Er wird als russischer Mark Zuckerberg gehandelt und scheint der Protagonist zum Antagonisten Meta zu sein. Nach dem Tod des milliardenschweren Zuckerbergs wird Meta von einer kybernetischen Kopie dessen geleitet. Somit ist es Kampf auch von Mensch versus Maschine.

Die Zeiten werden schwieriger. Vor allem eines aber: teurer. Zur Feier von siebenhundert Millionen Nutzern führt Telegram eine (soweit) optionale Premium-Funktion für knapp fünf Euro monatlich ein. Zuzüglich Gebühren für das jeweilige Anwendunsgeschäft für Androide oder Apfel, da schließlich jeder ein Stück vom Kuchen will.

Quelle: Telegram / Telegram-Blog

Verständlich. Mit mittlerweile 700 Millionen Nutzern und seinen unzähligen Features wie Bots und Sticker ist der Messenger ein immer hungriger Wolf. Um die angestrebte erste Milliarde Nutzer und ihre Aber-Billiarden an Nachrichten, Bildern, Sprachnachrichten, Anrufe und Videotelefonie zu stemmen, braucht es eine stabile technische Infrastruktur, die Unmengen von Kosten verursacht. Nach eigenen Angaben reichen drei Prozent bezahlender Nutzer aus, um die Kosten zu decken. Bei fünf Euro sind das immerhin 70 Millionen im Monat, ausgegangen von glatten fünf Euro pro Person.

Um dem vermeintlich Zahlenden das Abonnement schmackhaft zu machen, lockt man mit doppelten Begrenzungen. Versenden von 4 Gigabyte großen Dateien (statt 2 GB), schnellere Runterladungen, 400 statt 200 favorisierte GIF, einzigartige Sticker und einzigartige Reaktionen mittels Emojis auf eine Nachricht. Man kleckert nicht, man klotzt. Das Doppelte und Unbegrenzte für alle, die bezahlen. Repressalien in Form von Nichtverfügbarkeit, langsameren Runterladungen und Werbung für all die Geringverdiener da draußen.

Das konnte Meta nicht auf sich sitzen lassen.

Zwei Milliarden Schafe – und der Schäfer ist der Schlachter

Und wie immer wittert Meta ein Geschäft. Dieses Mal kauft Meta die lukrative Konkurrenz aber nicht, sondern zieht mit seinem Sprössling WhatsApp in die gleiche Richtung nach – mit WhatsApp Premium. Und das zügig. Schon Ende 2021 soll es für sattezehn Euro im Monat WhatsApp Premium geben.

Dabei könnte die Herangehensweise nicht unterschiedlicher sein. Telegram ködert mit einer Litanei an Features der Schmackhaftigkeit. Das ist klug, und senkt sicher die Schwelle des Zögerns.

Brave Schafe. (Photo by Rachel Claire on Pexels.com)

Bevor man bei Meta aber neue Funktionen einfüge oder überhaupt etwas tue, wolle man zuallererst den Nutzern begreiflich machen, in welche Richtung es geht. Anstatt ein Mehr zu bieten und dann zur Kasse zu bitten, wird erst einmal begonnen, Vorhandenes nur noch gegen Bezahlung anzubieten.

So begann man schon Anfang 2021, die Rückenauf-Funktion nicht mehr kostenlos zu ermöglichen. Sollte sich also jemand dazu entschließen, seine Gigabyte an unverzichtbaren Selfies, unscharfen Essensfotos und schlüpfrigen Chatverläufe mit so manch einsamer Mutter für die Ewigkeit und nur für sich sichern zu wollen, so wird er seine Geldbörse zücken müssen.

Gewollt ist ebenso, WhatsApp Premium gleich in die Liga des doppelten Preises zu heben. Die naiven Nutzer wissen nicht, was sie an uns haben, wir aber, was wir an ihnen haben, hieß es in einem internen Schreiben von Meta.

Ob die Nutzer das letztlich mitmachen, ist nicht fraglich. Denn das werden sie. Sie nahmen den Verlust ihrer Privatsphäre in Kauf. Eine Herde von fast zwei Milliarden Nutzern ist schließlich nichts Individuelles mehr, sondern eben eine Herde, die ohne sich selbst und dem Schäfer nicht mehr kann und nur darauf wartet, an die Schlachtbank geführt zu werden.

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