
Ständiger Druck

Jeder kennt das Problem – man steht vor einer schweren Entscheidung und es gibt kaum die Möglichkeit, sich nicht der Impulsivität hinzugeben, da man um die Reue weiß. Man hadert, was und ob man es machen soll, welche und wie viele Alternativen es gibt. Nach der Entscheidung ist man enttäuscht und weiß es besser.
Objektiv betrachtet, sind die Entscheidungen ohnehin niemals vielfältig, sondern zumeist die Reduktion auf ein bares „Ja, mache ich“ oder ein „Nein, ich lasse es“.

Und stets sind es die gleichen Fragen, die einen früh morgens oder spät abends quälen. Wenn man alleine ist, Zeit für sich hat und zur Decke stiert.
Soll man vielleicht doch dem großschwengeligen Ex-Freund schreiben, dem man letztes Mal schon den Laufpass gab, weil er einen immer nur ausnutzt? Schreibt man der massiv behupten, buttergesichtigen Ogress von Verkäuferin, die einem die Handynummer zuschob, auch wenn sie auf einer Skala von 1 bis 10 im zweistelligen Minusbereich liegt?
Wie bekämpft man die Nervosität vor dem Vorstellungsgespräch oder einem anstehenden Vortrag vor einem Publikum?
„Was immer du auch machst – mach es erst dir selbst.“
Wie erreicht man den Zustand geistiger Klarheit, bei dem man objektiv beurteilt und entscheidet? Wo doch jede Entscheidung fremd der Rationalität ist und von Gefühlen, Ängsten und Verlangen angetrieben wird?
Die Lösung liegt in der Hand und fliegt an die Wand
Doch die Lösung für jede Situation, jedes Geschlecht und jedes vermeintliche Problem ist nicht einmal eine Armlänge von einem entfernt: Man selbst ist die Lösung, und man muss nicht mehr tun, als selbst Hand anzulegen.
„Bevor sie viele Hürden schürgen – warum nicht erst den Jürgen würgen?“
Masturbation, Onanie und Stimulation nennt sich das, und das Ergebnis ist bei allen mittlerweile fünfhundert Geschlechtern dieser Gendergesellschaft identisch: Ein überragendes Gefühl und die sogenannte Post nut clarity, die im Deutschen als die Nach-Nuss-Übersichtlichkeit bekannt ist.

post ist das lateinische Wortbildungselement für nach, nachher, hinter. Aus dem Englischen hingegen kommt to nut und steht für die Ejakulation. clarity ist die Klarheit, Übersichtlichkeit.
Die Nach-Nuss-Übersichtlichkeit beschreibt den Zustand kurz- bis mittelfristiger mentaler Scharfsinnigkeit, die ungetrübt von Trieben oder Lüsten ist.
„Komm erst mal runter, in dem du kommst.“
Definiert wird es als ein Gefühl der Klarheit nach einer elitären Hoblerei und Kitzlerknoblerei, das im Englischen als clearity wank, zu Deutsch übersetzt als Übersichtlichkeitsrunterholung im Sprachgebrauch Verwendung findet. Der Moment, in dem man auf zum Beispiel Nutflix die vierunddreißig Tabs im Inkognito-Modus schließt, Hose und Verstand hochzieht und Taschentücher wie schlechte Entscheidungen verräumt. Anders als das hinausgeschleuderte Sekret sind Geist und Urteilsvermögen klar und nicht verklebt.
„Bevor du den Chef als Wichser bezeichnest – sei selbst einer!“
Große Zustimmung zur Auswringung
Diese Nach-Nuss-Übersichtlichkeit ist wissenschaftlich bewiesen sogar so wirksam, dass sich auch das Ministerium für Gesundheit die Sache in die Hand nahm und eine groß angelegte Kampagne startete. Dazu ein Sprecher des Gesundheitsministeriums: „Täglich werden so viele Entscheidungen getroffen – so viele geschehen im Affekt der Unterdrückung des Überdrucks, mit dem Effekt einer schlechten Entscheidung. Dem wollen wir entgegenwirken, um rationale Zucht und Ordnung zurückzubringen.“
„Bevor Sie mit Problemen ringen – warum nicht erst den Schwamm auswringen?“
Unterstützung erfährt die Bewegung auch von prominenter Seite. So hat Hans Söllner sein eher politisch angehauchtes Lied „Aba olle samma Wixa“ von 1989 dafür umgeschrieben, um der Thematik noch mehr Schwung zu verleihen. Wichser sind wir in dem Lied immer noch alle, aber im besten Sinne.
„Kurz vorm Genieren? Dann bitte masturbieren.“

Das Glück in die eigene Hand nehmen also. Beim Glücksspiel ist es bereits so. Wer dort einen hohen Millionenbetrag gewinnt, der bekommt ein Beratungsgespräch und teilweise sogar einen Psychiater zur Seite gestellt. Nun will man das mit den neuen Vorgaben der Regierung kombinieren. Wer eine Gewinnbenachrichtigung erhält, bekommt im gleichen Zug eine Gratiswoche beim neuen Netflix-Ableger Nutflix.
Erst, wenn der Gewinner dort nachgewiesen täglich zweimal sich dem Glücksspiel hingab, besteht ein Anrecht auf die Gewinnsumme.
„Nach dem richtigen Ankreuzen: Bitte kräftig auch den Kasper schneuzen.“
Auch die Fahrlehrerverbände wollen das so übernehmen und einführen. Nervosität ist ein Hauptgrund, warum ein hoher Prozentsatz der Fahrschüler zusätzliche Fahrstunden benötigt und durch die Prüfung rasselt. Das kostet alles Zeit und Geld, und strapaziert die Nerven beider Parteien. Wer aber mit einer frisch ausgerichteten Antenne seine Fahrstunde beginnt, macht weniger Fehler.
Besonders vor der Führerscheinprüfung werden die Prüflinge nunmehr dazu angehalten, den Schalthebel auf Leerlauf zu stellen, die Anhängerkupplung zu polieren, die Handbremse kräftig anzuziehen und den Keilriemen einmal frisch aufzuziehen.
„Damit alles gut beim Abschluss geht, er besser vorher hart beim Abschuss steht.“
Die Messlatte hierfür ist hart wie einfach: Je schwieriger die Prüfung, desto intensiver sollte die Nussung ausfallen. Dabei spielt das Geschlecht keine Rolle, betont man. „Überdruck ist Überdruck. Und ob man nun hart zur Rohrzange greift, um das Problem zu packen, oder sich mit wenigen Fingern und dem notwendigen Fingerspitzengefühl vorantastet, bleibt jedem selbst überlassen. Schließlich kennt man sich selbst am besten. Das Ergebnis aber soll gleich sein.“
„Bevor die Hand zieht aus der Scheide den geschliffenen Degen, sollte sie zuerst auch dort die Hand anlegen.“
Als musikalischer Pate dient für die Kampagne das Lied The Lion Sleeps Tonight. 1939 vom Südafrikaner Solomon Linda komponiert, wurde das Stück als Mbube / Ngi Hambiki aufgenommen und erfreut sich dank unzähliger Coverversionen weltweiter Bekanntheit. Das Lied zählt zum Isicathamiya, einer Gesangstradition der südafrikanischen Zulu, die ausschließlich von Männerchören praktiziert wird. Primär denkt man beim Hören der eingängigen Melodie aber an eines: an wedelnde Palmen der Karibik, schwingende Fleischpeitschen eines Metzergesellen und das heftige Spänehobeln in der Schreinerei.
Die Regierung fordert Anschwellen wichtigster Stellen
Das Gesundheitsministerium will zur Abwechslung also etwas für die Gesundheit der Bürger tun und tut es auch. Nach In-Auftrag-Gebung einer Studie gab es schließlich grünes Licht und ein Budget, das man unbestätigten Berichten nach als „außergewöhnlich groß, gebefreudig und kaum zu bewältigen“ beschrieb.
„Auch für die Bravsten tut es geziemen, Hand anzulegen an Knauf und Riemen.“

Gesundheitsminister Lauterbach erkannte die Wichtigkeit und Dringlichkeit dieses Anliegens und steht voller Tatendrang dahinter und will es vorantreiben. Einen offiziellen Namen hat die Kampagne nicht. Die Plakate, Slogans und Hashtags aber schleudern ihre Essenz bewusst in alle Richtungen und Gesichter und sind in aller Münder.
„Bevor du aufreißt alte Wunden – warum nicht erst dich selbst erkunden?“
Die Kampagne brilliert mit eingängigen Werbeclips auf den sozialen Medien und soll besonders junge Leute erreichen. Werbeblöcke wurden gekauft und man drang sogar in Nischen vor, indem man etwa im Newsfeed, Blogs und gewöhnlichen Artikeln entsprechende Sprüche auftauchen lässt. Sublim penetrierend, aber doch penetrant stimulierend.
„Bevor er denn beschimpfe des anderen Namen, möge das Nasentuch empfange deinen
heißen SamenSegen und Amen.“
Dabei gibt man sich sowohl abwechslungsreich – mal hochgestochen, mal kunstvoll, mal derb, mal lyrisch, dezent sublim oder direkt auf Konfrontation. „Indem wir die Sprüche möglichst variieren, wollen wir absolut jeden Bürger ansprechen. Mann, Frau, alles dazwischen und außerhalb, sowohl die Jugend ohne Tugend, den Biedermann, selbst den Bordellbesucher als auch den vermeintlich Keuschen. Im Endeffekt sind wir alle Mensch, und die Evolution zwingt uns früher oder später alle zur Fleischeslust.“
„Bevor Sie deswegen heulen – warum nicht vorher Einen keulen?“
Der Masturbation folgt Inspiration
Das Konzept der Nach-Nuss-Übersichtlichkeit wurde bereits ins Englische transferiert und erfreut sich genau deshalb auch steigender Bekanntheit. Dort dominieren Slogans und Rautenmarkierungen wie „Masturbation before Devastation“, „Thank the Wank“ und „Maybe I will do – but first the Dildo.“
„Bevor kommt das Böse und der große Jammer – polier die Öse und schwing den Hammer.“
Bereits nach nur zwei Monaten war schon ein deutlicher Rückgang nicht bestandener Fahrprüfungen zu sehen, heißt es vom Vorstand der Fahrlehrerverbände. Auch der Lehrerverband meldet positive Rückmeldungen – so gab es bereits nach Einführung dieser handfesten Praktik eine deutliche Stagnation an Problemen, die auf Nervosität und die dazu führende Prüfungsängste zurückzuführen sind. Bessere Abschlüsse nach vieler Abschüsse also.
Das Beste kommt zum Schluss mit dem Schuss
Indem niemand mehr das Haus mit einer geladenen Waffe verlässt und bereits vorher das Überdruckventil öffnet, werden weitaus mehr gelassene Entscheidungen gefällt. Vielleicht sind die Zeiten vorbei, in denen man das Sperrgut nicht gleich verräumt, den Sprinkler vergisst anzumachen und das Lot nicht ausrichtet.
„Auch auf Treffen wie dem G7-Gipfel pulsieren Hügel und wehen Wipfel.“
Da hatte Hans Söllner also schon 1989 recht mit seinem Song. Im Grunde sind wir doch alle irgendwie Wichser auf dieser Welt. Vielleicht ist das aber gut so und von der Evolution so bedacht – und vielleicht sollten wir alle noch sehr viel größere Wichser sein, tief in uns gehen, richtig anpacken und das Beste aus uns herausholen und der Welt präsentieren. Wäre es doch nur im Besten aller Sinne und für ein schöneres, friedlicheres Miteinander.
ap;
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