Als Totale Erinnerung verewigte ich mich im Kino, als er mir entfleuchte wie ein Rhino

Es ist zwar schon etwas länger her, aber ich erinnere mich noch daran, als wäre es schon einige Zeit her. Was war geschehen? Nicht viel. Warum ist es geschehen? Man weiß es nicht! Vielleicht hatte ich an diesem Tag nur schlechtes Timing. Vielleicht war es auch wie jeder andere Tag als Jahresabonnent der Arschkarte in Gold. Doch wie es mit allem Peinlichen ist, was einem so geschieht, es verjährt nicht. Selbst im hohen Greisenalter muss man noch kräftig darüber lachen, bis man erstens es und zweitens sich selbst nicht mehr auf dem Stuhl halten kann. Dem nicht genug, werden auch die Enkelkinder noch ihren Spaß haben.

Voraussetzung hierfür ist natürlich, dass etwas Peinliches nicht in Vergessenheit gerät. Besäße ich Ballast wie Ehre, Etikette oder andere unnötige Dinge wie gesunden Menschenverstand und ein zartes Pfündchen Zunder in der Birne, würde ich es für mich behalten. Zeitgleich etwaige Zeugen zum Schweigen bringen und das Erlebnis nie wieder erwähnen. Vielleicht sogar auswandern. Aber da ich neben ohne schon abgestorbenen Emotionen auch für diese Dinge keinen Platz mehr in meinem Spektrum an dem so genannten Scheissendreck habe, verfasse ich sogar einen Post darüber.

Wäre ja ein Unding, eine Chance zu vergeuden, ein oder zwei Menschen da draußen zum Schmunzeln zu bringen. Und wie mein Lehrer immer so schön gesagt hat, kurz bevor er mir wieder mal mit der Rückhand die Brille vom unterbelichteten Bunker geschossen hat: Halt die verdammte Fresse wenn du keine Ahnung hast, du scheißdämlicher Mistkrüppel!

Aber da ich hier zumindest ein bisschen Ahnung habe, geht es auch gleich los.

Wenn ich auch noch nach Jahren zurückblicke, kann ich nur den Kopf schütteln und mich fragen, welche Dinge da nun wieder zusammengespielt haben, um so ein Erlebnis zu erzeugen. An was mag es gelegen sein? Welche Umstände waren es genau, in denen mir ein recht Grober der Marke Rhino entfleuchte, wie man es in der Überschrift lesen kann? Stand wieder einmal Krautlasagne-Zwiebel-Auflauf mit extra viel Schmand und Sahne zum Ablöschen oder etwas ähnlich Verheerendes und Gärendes auf dem Mittagsplan? Und was hat es mit all dem auf sich? Vielleicht bin ich aber auch nur, wie man im Englischen so schön sagt „a really ready dog“, ein richtig fertiger Hund.

In so einem Saal, geschah es infernal. Keineswegs war es ein Verhörer, sondern rektaler Zerstörer.
In so einem Saal, geschah es infernal. Keineswegs war es ein Verhörer, sondern rektaler Zerstörer.

Fakt ist, dass man an diesem weit zurückliegenden Tag geplant hatte, abends ins Kino zu gehen und sich den Re-Stiefel von Total Recall anzusehen. Gesagt getan, verlief die Planung eigentlich recht unproblematisch und bis man sich versah, saß man auch schon im Kino. Soweit nichts Besonderes. Bis auf die Tatsache, dass sich etwas in mir zusammenzubrauen begann und die einst oral aufgenommene, feste Materie anmerkte, meinen Körper im materielosen Zustand verlassen zu wollen.

So weit so gut. Nicht.

Für gewöhnlich, wenn die Darmwindungen mit gewisser Vorlaufzeit warmlaufen und loslegen wollen, versucht man ja noch das Möglichste, dem Untergang zu entkommen. Irgendwann realisiert man aber, dass selbst der stärkste Schließmuskel zu schwach ist und Urgewalten nicht dafür gemacht worden sind, um von etwas aufgehalten zu werden. Außerdem habe ich für den Film hier bezahlt und ich habe nicht Lust, die wichtigsten zwei Minuten des Films zu verpassen.

Also entschied ich mich, auf eine recht laute Szene zu warten, um mich zu lösen und etwas Ballast von mir zu stoßen. Es heißt nicht umsonst, dass man aus der Not eine Tugend machen soll. Die Not ist in der (auch aerosolen) Notdurft enthalten, und Tugend leitet sich von „Tauglichkeit“ ab. Und es ist durchaus tauglich, im Kino nicht einfach zu explodieren, weil man sich zu fein ist, einen wahrlich Sauberen rauszudrücken, bis es selbst die dicksten Dielen senkrecht hochblättert und die Schrauben darunter verzieht. Das läuft alles nur unter elementarer Selbsterhaltung und ist wohl instinktiv in unserer DNA verankert.

Wie es der Zufall so wollte, gab es genau bei den lautesten Szenen einen inneren Druckabfall und alles beruhigte sich für einen Augenblick, womit die Actionszenen mit Schießereien mir keine Erlösung beschaffen konnten. Mit Gewalt eine Extraktion initialisieren mochte man aber auch nicht unbedingt, da man diesen inneren Sachen für gewöhnlich ja nicht trauen darf. Zu starker Druck führt schließlich gerne mal zu einer unfreiwilligen Zwangsräumung.

Dann: Die Pianoszene! Es sollte der Moment jener Befreiung werden.

Obwohl der Protagonist im Grunde nur etwas auf den Tasten des Klaviers rumklimpert und Beethovens Moonlight Sonata spielt, kann man sich unschwer vorstellen, dass diese Szene im Kino natürlich viel lauter war. Ungefähr so, als würde man in einem Konzertsaal sitzen. Jeder frisst und knurschpelt seine achte Packungen M&Ms weg, hinten ploppt der zehnte Stopsel einer Bierflasche, zwei Reihen vor einem hustet jemand. Kleine Geräusche werden also gar nicht wahrgenommen. Und da die Darmwindungen sich keineswegs beruhigt hatten, mei, da dachte ich, während ich kurz nach links und rechts schiele, lasse ich den inneren Höllenhund halt mal los.

Alexander, dachte ich noch bei mir, das muss trotzdem sachte geschehen.

Gaaanz sachte und langsam. Nichts überstürzen. Dennoch aber mit Druck, weil wenn schon, denn schon. Und ewig mag ich das ja jetzt auch nicht mir mir rumtragen. Soll ja keine langwierige Geburt werden, sondern ein Abgang vom Allerallerfeinsten. Also los jetzt. Zeit ist kostbar!

Ansonsten gab es nichts zu befürchten. Ich mein, bei dieser allgemeinen Lautstärke hier, was kann schon schief gehen? Was kann denn ansatzweise schon schief gehen? Während ich innerlich lache wie Agent Smith aus Matrix (siehe eingebettetes Video mit Zeitmarke 9:18!), lasse ich frei, was frei sein muss. Warum sich auch kasteien? Warum zurückhalten? Für derartiges Spießbürgertum ist in dieser Situation ungefähr so viel Platz wie in meinem Darm noch Platz zum Auslagern dieses tödlichen Luftgemisches ist.

Es wäre alles wunderbar und zur Zufriedenheit aller gewesen, hätte, ja hätte ich Volldepp hoch vier den wütenden Darmdämon auf die Sekunde nicht genau dann entfesselt, als Collin Farrel in der Rolle des Carl Hauser in dem Film bei 1:20 rum das Spielen aufhört:

Ohne hier um den heißen Spritzwurf herumzureden, lässt sich der grobe Ablauf eigentlich leicht und mit wenigen Worten zusammenzufassen. Lautes Klimperklamper, hurra, Klavier ist laut, hurrahurra, öffnet die Tore und lasset die Spiele beginnen. Ein Moment absolute Stille und dann ein entfleuchender Fürst des Todes, der sich anhörte als würde eine hochfrisierte Kreissäge anlaufen und sich in dem Vorgang dann komplett selbst zerlegen.

Erst gedanklich: Hups. Dann: Woah! Ja, das dachte ich schon sehr laut: WOAH! Ist wohl wie beim zarten Aufstoßen. Wenn man denkt, es kommt nur ein kleines zartes Böperchen, dann grunzt man röhrend über den ganzen Tisch wie eine verdammte Wildsau, bis die Tassen zerspringen und die Lampenschirme aus der Verankerung gerissen werden. So war es halt auch hier, nur im eher rektalen Sinne. Ich wog mich ja noch in Sicherheit, da ich nichts Großartiges erwartete, aber die Erwartung wurde wie immer übertroffen. So weit übertroffen, dass man noch heute rätseln kann, wie all die Materialien von Hose und Stuhl nicht samt dem Vordermann seine Haarpracht in Flammen aufgegangen und davongeblättert sind.

Erwartet habe ich nicht viel, bekommen umso mehr. Vertraut habe ich ihm auch, und das war der größte und einzige Fehler. Ich habe meinem Inneren vertraut und wurde aufs Bitterste enttäuscht. Ja gut, eigentlich auf Sauerste und Beißendste, nicht aufs Bitterste. Hat ja doch ziemlich gebrannt in den Augen.

Aufhalten? Ja freilich wollte ich noch bremsen und kneifen, als ich es bemerkt habe. Nur wie? Wie soll das denn bitte gehen? Hätte es mich vielleicht gleich zerreißen sollen? Das ist nicht so leicht wie beim Niesen, wo man einfach die Nase zuhält, trotzdem nach „innen“ niest und hofft, dass es einem den Rotz nicht von Ohren raushaut und die Nasenflügel dauerhaft steil auf 46° halb West verbiegt.

Jeder weiß, dass es bei so einer Aktion wie beim Strull- oh, entschuldigt diese niedere Wortwahl, Brunzen ist: was läuft, das läuft, und was läuft, das lässt man laufen. Und was am Entfleuchen ist, kann und wird nicht mehr zurückkehren, sondern sich für ewig verabschieden. Warum sollte es auch zurückkehren? Was sich nicht halten lässt, soll man nicht halten. Es ist der Punkt ohne Wiederkehr. Sobald der Zerstörer in Gang gesetzt wurde, wird er sich nicht aufhalten lassen. Und nicht selten wird er Land mitnehmen und auch andere Areale erobern.

Also lasse ich schweren Gemütes und dennoch erleichternder Seele das Schicksal über mich ergehen. Noch versuche ich, freilich mit wenig Erfolg, so zu tun, als wäre ich nicht da. Vielleicht habe ich sogar die Augen zugemacht. Oder zur Ablenkung die Melodie von Star Wars gesummt. Wer weiß. Doch wie Ihr alle wisst, wo Ihr doch auch nicht anders seid: es hilft alles nichts. Es hilft einfach gar nichts mehr. Ich gebe mich dem Laster hin, der von mir ziehen will. Ich lasse frei, was frei sein will. Ich teile mit meinen Mitmenschen auf allen Sinnebenen, was sich teilen lässt. Denn dies ist mein Leid, das nun Euch hingefahren wird, das tut zu meinem Gedächtnis.

Ja. Gedächtnis. Erinnerung. Die Totale Erinnerung. Ich frage Euch! Wollt Ihr die Totale Erinnerung? Ja? Denn so bekommt Ihr sie. Und nur so. Eingekeilt in sitzenden Menschenmengen, mit zu weit entfernten Fluchtwegen für alle Anwesenden, dazu noch gezwungen, das Leid über diese Menschheit zu bringen. Denkt Ihr vielleicht, das war für mich ein leichter Akt? Denkt Ihr vielleicht, mir ist es leicht gefallen? Dann denkt Ihr genau richtig. Denn Hölle, hat das gut getan. Verdammte HÖLLE, hat das gut getan. Erlösung ist ja gar kein Ausdruck. Das ware eine Offenbarung! Selbst wenns den halben Darm mit rausgeblättert hätte, wäre es mir egal gewesen. Aber sowas von egal. Das ist wie sich komplett bis oben zu mit Fleischpflanzerl oder Käsespätzle vollfressen und dann die Welt untergehen sehen. Wurst. Es ist dir einfach nur noch Wurst, da das Wichtigste seinen Frieden gefunden hat und dich nichts mehr bedrückt.

Daher muss man im Endeffekt mir das Mitleid kundtun, nicht den anderen. Unvergessen wird es für alle hundert oder mehr Beteiligten in diesem Kinosaal bleiben. Gehört hat ihn jeder, gesehen hat ihn niemand. I am Ninja! Die Legende! Doch in den Genuss gekommen zu sein, es mit einem weiteren, sehr feinen Sinn wahrgenommen zu haben, ja dieses glückliche Los trugen nicht viele. Und sie werden jedes Mal daran denken, wenn sie den Film sehen und an diese Stelle kommen.

In diesem Sinne habe ich gelernt, weiterhin zwei Dingen nicht zu trauen: Einem Furz und einem Film. Denn wie eine alte Bauernregel so schön heißt: Drückst du gach und es kommt Land, brauchst du nachher frisches G’wand.

Bildquelle:
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Cinemaaustralia.jpg by Fernando de Sousa from Melbourne, Australia (Flickr) [CC BY-SA 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)%5D, via Wikimedia Commons Wiki Commons