Gern geschehen! Danke! Kein Problem, habe ich gerne gemacht! Nach Ihnen!
Es ist schön, wenn die Menschen einen fragen, bevor sie etwas machen. Wenn sie beispielsweise in einem Geschäft an der Kasse vorbei müssen und freundlich bitten, ob sie vorbei dürfen. Oder wenn sie fragen, ob das etwa dein Spiegel war, den es im leichten Touchieren gerade in viertausend Einzelteile zerlegt hat und ob du eine gute Versicherung hast oder gleich eine aufs Maul willst. Kleine Freundlichkeiten eben, die einem den Tag versüßen.
Wie der blöde Fettsack Brackenmeier, der dir in der siebten Klasse das heruntergefallene Pausenbrot samt Butterbrotpapier weggefressen und „Gern geschehen!“ gerufen hat, während er eine Plastikgabel hochgerülpst und dann beim Weglaufen einen Teil des Türstocks eingerissen hat. Solche Sachen eben. Dinge, die man jeden Tag erlebt und die einem die Hoffnung an die Menschheit nicht ganz verlieren lassen. Die Sitte des „Bitte“ und der Gedanke des „Danke“ sind schließlich sehr viel wert und öffnen Tür und Tor. Das tut eine Feldhaubitze zwar auch, aber immerhin.
Daher kann man trotz allem nicht behaupten, dass es der Menschheit grundsätzlich an Etikette fehlt. Vielleicht dem dämlichen Bauerngesocks hierzulande ament etwas mehr, aber nicht gänzlich. Freilich gibt es immer dummgesoffene Saubierproleten, die meinen, alleine auf der Welt zu sein. Aber es gibt eben auch sehr viele freundliche Menschen.
So wie die beiden Männer letztens, die ich antreffen durfte, als ich im lokalen Eisentempel war, um meine waschlappigen Gummiglieder auszuhärten. Für gewöhnlich plane ich es dort mit ein, meinen Zwei-Zentner-Kadaver anschließend noch in die Sauna zu hieven, um ihm etwas Gutes zu tun. An besagtem Tag versuchte ich mich anstatt mit normalen Kreuzheben in der Sumo-Deadlift-Übung und schnitt sehr gut ab. Um meinem Rücken in der Sauna die nötige Entspannung zu gönnen, machte ich zuerst einen kleinen Aufguss und pflanzte mich samt meinem Handtuch horizontal auf die dritthöchste Stufe.
Hitze an, Welt aus. Denn Sauna ist nicht nur gesund, Sauna ist Liebe und lässt einen auf allen Ebenen entspannen. Für einige Minuten genoss ich die Ruhe und Stille der Hitze, ehe die Tür aufging und zwei Männer eintraten. Da ich mich grundsätzlich nicht als Platzhirsch profiliere, fragte ich wie immer, wenn jemand eintritt und selbst dann, wenn noch genügend freie Plätze sind: „Will jemand auf die dritte Stufe? Soll ich etwas beiseiterücken?“
„Nein, nein, nicht notwendig!“, lautete die abwiegelnde Antwort, ehe beide ihre Handtücher ausbreiteten und noch kurz ein Wort wechselten. Also gut, denke ich, und lege mich wieder hin. Augen zu, Hitze an, Welt aus. Alles grün auf der Wiese und knorke in der Borke.
Tja. Hätte zumindest so laufen können.
Doch jedwedes Wunschdenken, kann man sich bekanntlich schenken.
Dachte ich zuerst noch, sie würden sich auf die unteren beiden Stufen bequemen, so lag ich falsch. Jaleck, lag ich falsch. Denn wie im Sturm auf die Bastille in Frankreich im Jahre 1789 bestiegen beide die Stufen, um zur vierten, höchsten zu gelangen. Dass ich ausgestrecktes wampertes Etwas da etwas im Weg sein könnte? Es schien egal und vernachlässigbar zu sein.
Der Eine, der den direkten Weg über meine Beine zu nehmen gedachte, hats gleich noch im selben Moment gestreut. Und zwar richtig, weil er den Fuß nicht hoch genug hob und somit an der Stufe hängenblieb. Gut, dass ihm die letzte Stufe doch recht zügig entgegenkam und seinen Sturz etwas abfing, womit es ihn schon fast wie von selbst in die Semihorizontale gelegt hat. Derjenige wäre ja nicht so schlimm gewesen.
Ja beileibe nicht. Das hätte ich sogar noch vergessen können und würde es hier nicht als bescheuerten Post verewigen.
Denn während der eine über meine Beine stieg und auf der vierten Stufe nahezu seine ewige Ruhestätte fand, suchte sich der andere mein Gesicht aus. Ja. Ein Mann steigt über das Gesicht eines anderen Mannes. Quasi ein Ausfallschritt über mein Gesicht. Im nackten Zustand. Während man in der Umkleide bei den alten Herren ja noch wegschauen kann und ich das auch vorgezogen hätte, konnte ich gar nicht so schnell reagieren. Und bis ich mich versah, baumelte seine ergraut-behaarte Männlichkeit in aller Herrlich- und Erschwerlichkeit über mir.
Geschockt? Auf jeden. Traumatisiert? Davon darfst du ausgehen. Ich mein, das war ja kein ordinäres 08/15-Gehänge mehr. Da waren so viele Jahre darin verankert, dass der Schwerpunkt schon unterhalb der Knie angelangt war und als Taktgeber für das osteoporose-poröse Gerippe fungieren konnte. Das waren nicht die manifestierten Glocken von Notre Dame, das war der Big Ben des Greisentums und schlimmer als das Ding-Dong vom King Kong. Ein Pendulum von einem Trumm.
Als weitere Frage stellt sich nun, warum sich diese beiden Dorfaffen auf die letzte Stufe hingelegt haben, auch wenn bereits offensichtlich war, dass da nur eine einzelne Person liegen kann. Sinn machte es nicht wirklich. Und ich hatte aufgrund meines Schocks auch nicht gerade die mentalen Ressourcen übrig, dies zu diesem Augenblick ergründen zu wollen.
Aber mei, ding-dong, gern geschehen. Danke fürs Nachfragen und vielen Dank auch fürs Bescheidgeben und Vorwarnen. Gerne rücke ich ein Stück beiseite, ist ja kein Problem. Und warum sollte ich auch etwas dagegen haben, wenn mir jemand fast seinen Schwengel ins Gesicht peitscht. Wir haben schließlich alle Platz hier und wenn nicht, dann geht es eben auf Tuchfühlung.
Dafür kann jetzt wohl endlich meine Autobiographie vollenden. Schließlich habe ich alles gesehen. Aus nächster Nähe, kaum eine Schamhaaresbreite von mir entfernt. Ob ich nun wollte oder nicht.
Bildquelle:
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