Germany’s Next Topmodel 2023: Egal wie alt, egal wie breit, was zählt ist Einzigartigkeit

Hut ab!
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„Nur Eine kann Germany’s Next Topmodel werden.“ – Diesen Spruch dürfte mittlerweile jeder auswendig gelernt haben, der die deutsche Castingshow im Reality-TV-Format auf ProSieben verfolgt.

Germany’s Next Topmodel, kurz GNTM, sucht seit der Erstausstrahlung im Jahr 2006 bei jeder Staffel nach einem weiteren Topmodel, um das Aushängeschild für Label und Fashion zu werden. Und mittlerweile weiß das Format, sich gekonnt pompös in Szene zu setzen.

Glokalisiert und glykosiert

Dabei orientiert sich die Show am amerikanischen Vorbild America’s Next Top Model, von dem es die glokalisierte Version darstellt. Und was bedeutet Amerika? Immer größer, immer lauter, immer aufdringlicher. Und mittlerweile auch eines – immer offener für alles. Diversität ist der Schlüssel.

Nach dem Testament für die Erben gleich bewerben.
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Schönheit liegt im Auge des Betrachters, das mag sein, und es ist auch im Glauben verankert, dass ein Model schön sein muss. Dem Motto folgte man, doch sank die anfängliche Einschaltquote von anfänglichen drei Millionen Zuschauern nach den ersten sechs Staffeln auf durchschnittlich zweieinhalb Millionen.

Das reichte der Produktionsfirma RedSeven nicht mehr. Um die Zuschauerquoten zu erhöhen, musste sich neben dem hinaufgesetzten, nun dreistelligen Alter auch der Durchschnitts-BMI der Bewerberinnen erhöhen. Topmodels besaßen bisher einen knapp einstelligen BMI. Ziel sei es, ihn bis zu Staffel 25 auf mindestens 35 zu erhöhen.

Dies forderten auch neue Sponsoren, die sich für die 18. Staffel von GNTM im Jahr 2023 ankündigten – unter anderem Burger King, Milka, zwei Hersteller von Hüftgelenkprothesen, Hörgeräte Hubert, ein Bestattungsunternehmen und die Süddeutsche Zuckerrübenverwertungsgenossenschaft.

„Derartiges erhöht natürlich massiv die Chancen für nahezu jede Bewerberin – oder Bewerber“, sagte Klum in einem Interview. „In der 18. Staffel nächstes Jahr [2023] weiten wir alles aus. Die Konfektionsgröße, das erlaubte Alter, das Gewicht, und ebenso die Suche auf jedes Geschlecht. Oder auch kein Geschlecht – solange es ein vermarktbares Gesicht hat und einen Vertrag unterzeichnen kann, ist es willkommen.“

Mit jedem Gesicht und Gewicht ins Rampenlicht

Demnächst wohl auch bei GNTM: Männer.
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Die Model-Branche stand bis zuletzt in einem schlechten Licht. Models müssten sich runterhungern und hätten nicht nur dadurch mit massiven körperlichen, folglich auch psychischen Problemen zu kämpfen. Deshalb verzichtete man zunehmend auf die Standards, die man etwa noch in den 80er und 90er Jahren verlangte. Etwa ein Mindestmaß an Ansehnlichkeit, natürliche Schönheit, ein vollständiges Gebiss, Ausstrahlung oder gar die Fähigkeit, sich selbst und ein weiteres Produkt gut zu präsentieren.

Die Fangemeinde nahm diesen Zug wohlwollend auf, da sich schon viele, vor allem weibliche Zuschauer, Männer in der Show wünschten. Wieso sollte auch nicht ein Mann Werbung für Binden oder Supplemente für die Schwangerschaft machen?

„Das alles muss sich ändern“, sagte Klum, die Tochter eines Chemiefacharbeiters und einer Frisörin ist, und ihre eigene Karriere bei der Castingshow Model ’92 begann und sich seither selbst vermarktet.

Zuversichtlich gibt sich daher Bernhard Brackenmüller aus Berlin. Seit einer leichten Knöchelverstauchung hat der ambitionierte Betreiber eines Kuchentester-Blogs zirka 150 Kilogramm zugelegt.

„Die Bewerbung ist geschrieben“, schnauft er. „Bis zur nächsten Staffel von GNTM will ich auf jeden Fall noch 30 Kilogramm abnehmen und unter die 300 kommen, um einen Moment lang für ein Shooting stehen zu können. Sollte das nicht gelingen, hoffe ich auf einen deutschen Ableger von Mein Leben mit 300 Kilo„, sagt der stattliche Mann mit einer Körpergröße von gerademal 160 Zentimetern, während er sich die Sauerstoffmaske zurechtrückt und das vierte Mal in einer Stunde den Pfleger ruft, um in eine andere Position gewälzt zu werden.

Und all das will bewertet werden. Auch in der neuen Staffel will sich es sich Klum nicht nehmen lassen, ihre „Mädchen“ zu führen.

Alles Klum (und drumherum)

Ruhm schlägt bekanntlich große Wellen, und auf der Welle dessen wollen viele surfen. Nicht im Schatten ihrer Mutter wandern muss hingegen Leni Klum, Tochter der Medienunternehmerin mit doppelter Staatsbürgerschaft. Während andere Teenager ein Studium beginnen oder sich nach einer Ausbildungsstelle umsehen, um das echte Leben zu erfahren und es nach der Schule mit eigenen Brötchen zu unterhalten, steht Leni Klum bereits im gleißenden Rampenlicht wie ihre Mutter.

250.000€ bekommt die Gewinnerin, um die folgenden Jahre der Auftrags- und Arbeitslosigkeit bis zur Schwangerschaft zu überbrücken.
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Viel Licht – viel Schatten? Nicht unbedingt. Damit die Tochter nicht untergeht, wird sie auch in neueren Staffeln als Gastjurorin auftauchen und ihren geschulten Blick und geballte Erfahrung von 18 Jahren dafür einsetzen, die Besten der Besten zu bewerten.

„Geplant sind auch weiterhin Gastjuroren“, sagt die Klum-Mutter. Viel ist nicht bekannt, doch nur so viel: Nachdem nun auch die Tochter mit in die Show gebracht wurde, wird in der nächsten Staffel auch ein entfernter Schwager, Klums erster Elektriker und ein Fleischwarenfachverkäufer, von dem sie sich letztens ein gut belegtes Brötchen kaufte, in der Show als Gastjuror auftreten.

Nur Eine wird es werden (wenn sie vorher nicht noch sterben)

Gewappnet für Kritik der Jungjuroren sieht sich auch die 91-jährige Kreszenz W., die nach ihrer mittlerweile fünften Bypassoperation derzeit in einer Kurzzeitpflege untergebracht ist. Mit einem wehmütigen Augenzwinkern der Nostalgie an die Zeit vor 80 Jahren, als sie das erste Mal abgelichtet wurde, sieht sie sich schon unter in den Top 25. „Das wäre zumindest ein schönes Geburtstagsgeschenk zum 92sten“, unkt Kreszenz W..

Dass auch sie, wie Bernhard Brackenmüller aus Berlin, Sauerstoff, schwere Medikation und drei Mal täglich einen Pflegedienst benötigt, der ihr etwa auf den Toilettenstuhl hilft, sei kein Problem, versicherte die Produktionsfirma. Hierfür werde man die Hälfte der Photographen und deren Assistenten durch Palliativkräfte, Intensivmediziner und, vor allem für die jüngeren Bewerber, Psychologen ersetzen. Man hätte auch schon einen guten Sponsoring Deal mit einem Ritalin-Hersteller landen können, hieß es weiter.

Ebenso werde das Equipment aufgerüstet – statt zwei großen Bildschirmen für die gemachten Bilder wird ein Monitor die Vitalfunktionen anzeigen. Jeder Teilnehmer bekommt einen Notrufdrücker, wie man ihn beispielsweise zuhause als Hausnotruf kennt. „Man ist schon mit dem Malteser Hilfsdienst in Kontakt getreten, um alles Personelle und Technische abdecken zu können.“

Vielleicht kann auch ein Shooting mit Krücken die Jury entzücken?
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Das Equipment wird nach Möglichkeit kabellos funktionieren, damit die Teilnehmer von GNTM mit ihren Rollatoren nicht über umherliegende Kabel stolpern oder sich darin verheddern. „Die Sicherheit und körperliche Gesundheit aller Teilnehmer ist für uns das Wichtigste“, hieß es auch mehrfach zu Seiten von Heidi Klum.

So könne sich Klum auch ein Shooting in einem Krankenhaus oder Krematorium vorstellen, um bei etwaigen Zwischenfällen auf kurze Transportwege zurückgreifen zu können.

Aufgrund des steigenden Alters, Gewichts und Mehrung vorhandener Persönlichkeitsstörungen sah man eine gewisse Notwendigkeit, die Challenges (Herausforderungen) bei den Shootings zu erleichtern. So sei es in der neuen Staffel beispielsweise nicht mehr notwendig, auf ein Gestell zu klettern und die Zeiger einer Uhr zu imitieren, oder gar auf einem Stuhl zu sitzen und sich lasziv wie ein Model – Topmodel – zu präsentieren und ein Produkt aufzuhübschen.

In der neuen Staffel soll es genügen, einfach man selbst zu sein. Begonnen mit der Sprache – wer es bevorzugt, mitten im sentence die Sprache zu switchen, um seine personality zu pushen, hat sogar bessere chances, schrieb man auf der official Bewerberseite.

Während die ersten Staffeln noch mitunter auf Talent, Schönheit und Fähigkeiten setzten und die letzten Staffeln im Zeichen von Diversity (Unterschiedlichkeit) standen, soll die 18te Staffel im Jahr 2023 einzig auf Uniqueness (Einzigartigkeit) fußen.

Egal wie schmal, egal wie breit, was zählt ist Einzigartigkeit

Anders als bei Brackenmüller oder Kreszenz W. muss es aber nicht immer ein Mehr sein, das zum Sieg verhilft. Gar im Gegenteil.

Nach dem Motto „Weniger ist mehr! Mut zur Lücke!“ und entsprechendem Hashtag versehen, richtete sich auch die erst 18jährige Chantalle-Jacqueline an ihre vierzehn Follower starke Instagram-Gefolgschaft. Stolz zeigt sie in einem Video ihr natürliches Diastema – die Lücke zwischen den Vorderzähnen. Mit Hilfe eines Schraubendreher will sie am Glück drehen und der absoluten Uniqueness, wie sie es nennt, einen Schritt näher zu kommen.

Dem Schritt folgte ein Tritt ihrer Schwester. Schon brach der Zahn, die Lücke lugt aus dem Gesicht. Und mit ihm einer der unteren Schneidezähne.

Lose? Lösen.
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Schon sprießten die Herzen und Kommentare unter dem Live-Video. „Der wackelte eh. Das ist sogar noch besser!“, frohlockte die Instagramerin, die in ihrem Profil schon mit #nextobmodell wirbt. Sie zumindest sieht sich schon auf dem Siegerpodest stehen und den Koffer mit dem Preisgeld entgegennehmen. Von dem Geld, so schwärmt sie, will sie auf jeden Fall ein lila-farbenes Pferd mit Horn, „eine große Zahl mit Nullen“ an Followern kaufen und den Po operativ vergrößern lassen, um „in keiner booty challenge mehr abzulosen“.

Ob sie sich mit diesem Bewerbungsvideo gegen die wachsende Zahl Bewerber durchsetzen kann, und ob sie Heidi Klum nebst Gastjuroren überzeugen kann, bleibt abzuwarten. Denn darauf setzt das Format – Spannung bis zum letzten Augenblick, ehe die mittlerweile 250.000 Euro an den Gewinner übergehen.

Und wie immer wird es heißen: Nur Eine(r) kann Germany’s Next Topmodel werden. 300 Kilogramm sind ein durchaus gewichtiges Argument, aber kein Grund, sich nicht auch auf das Siegertreppchen zu hieven – und selbst mit drei fehlenden Zähnen kann man sich zum Sieg durchbeißen.

bbq;