Wie ein Mann den Weltfrieden bringt

Kleiner Klick, große Wirkung

Das hätte sich Herbert M. wohl niemals gedacht – er hat die Welt verändert. Und das zum Guten, und mit erstaunlich wenig Aufwand: Einem einzigen Mausklick, einem Tipper auf das Display, und von diesem unsagbar viele.

Weltfrieden – bald keine Zukunftsmusik mehr?
(Photo by mododeolhar on Pexels.com)

Herbert ist weder Stubenhocker noch allzu aktiv am Feiern. Er ist in zwei Vereinen, in einem sogar der Vorstand. Ich treffe ihn in seiner Wohnung in einem Frankfurter Viertel. Auch hier findet sich nichts Besonderes. Es ist aufgeräumt, auf der Fensterbank steht ein großer Kaktus, an den Wänden Bilder von Johnny Cash. Herbert ist bekennender Country-Fan, verheiratet und ist seit zwanzig Jahren in einer Möbelmanufaktur als Staplerfahrer tätig. Der normale Mann von nebenan.

Dass ausgerechnet er die Welt verändert hat, kann er nicht ganz verstehen, zeigt sich trotzdem aber sichtlich stolz, während er die Hände um eine große Tasse Kamillentee schlingt. „Das alles mit nur einem Klick! Natürlich Tausende davon, aber immerhin“, sagt er erneut, und blickt mit leicht nervösem Blick auf sein Smartphone, das Ursache und Wirkung zugleich war, und noch immer ist.

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Die ersten Schritte waren wie Klicks – klein, aber mutig

Auf die Frage, wie es angefangen hat, legt er sofort los, als hätte er nur auf diese Frage gewartet und vorher akkurat auswendig gelernt. „Mich hat alles aufgeregt. Die Lügen der Regierung, die leeren Versprechen der Politiker, die Chemtrails, die gefakte Mondlandung und natürlich die Tatsache, dass wir alle für dummes Vieh verkauft werden und die Echsenmenschen uns infiltrieren!“

Herberts Hände krallen sich um die Tasse. Ich befürchte schon, gleich im Regen von Tee und umherfliegenden Scherben zu stehen. Doch Gefäß und Herberts Wahrung halten.

„Ich wusste, ich muss etwas dagegen machen! Die Menschen müssen wachgerüttelt werden!“, erklärt er. „Und da habe ich einfach angefangen, zu lesen. Nicht aber die offiziellen Seiten. Keinen Spiegel, keinen Focus, auch nicht die Zeit. Keine dieser“, und er formt Gänsefüßchen in die Luft und verzieht hämisch das Gesicht, „offiziellen Berichte. Denn genau in der Presse sitzen und schreiben die Lügner! Alles Funktionäre der Großen! Was ich zu lesen begann, sind Blogs. Kleine Seiten von den Mutigen, von denen, die aufstehen. Von denen, die sich in der Materie gut auskennen und sich tarnen, indem sie kein Impressum besitzen. Daran erkennt man die Guten.“

Tausend und noch mehr davon: Schritte.
(Photo by Ali Arapou011flu on Pexels.com)

Wie auf Kommando leuchtet sein Smartphone auf. „Eine Benachrichtigung“, flüstert er, greift wie aus Reflex zum Handy. „Ah“, nickt er, und dreht das Smartphone in meine Richtung. Auf die Frage, was ich da sehe (allein im Titel tummeln sich Dutzende Emoji und noch mehr Ausrufezeichen), erklärt er: „Das ist der streng geheime Blog eines Mannes, der Beziehungen zur Regierung hat und die dreckigen Lügen dieser Echsenmenschen aufdeckt.“

Dann nuschelt er „Chemtrails. Schon wieder! Das weiß ich schon, aber das wird geteilt – Ihr werdet schon sehen!“ Ein paar mal drückt er auf den Bildschirm, legt das Handy zufrieden weg.

„Allein der Blog hat schon über einhundert Tausend Follower“, erklärt er. „Die Frau des Betreibers dieses Blogs kennt jemanden, dessen Verwandter mit jemandem in Kontakt war, dessen Zwillingsbruder lange Zeit mit jemandem studierte, der später für die Regierung tätig war. Alles also Quellen aus erster Hand, die man angeben könnte, wenn man möchte – aus Sicherheitsgründen geht das aber natürlich nicht, sonst wird der Blog gleich stillgelegt“, weiß Herbert, nimmt einen Schluck Kamillentee und fragt mich, ob ich noch ein Stück des selbstgemachten Kuchens möchte, der neben dem Teller mit den Keksen steht. Seine Frau hat ihn gemacht, und er schmeckt lecker. Er ist einfach und bodenständig. Wie Herbert auch.

Stumm, aber doch mit lauter Stimme

Im Verlauf des Interviews bin ich mehrfach erstaunt ob des Redetalents von Herbert, auch wenn er sich bescheiden gibt. „Ich war nie der große Redner. Aber indem ich das, ja alles auf Facebook teile und mit einem wütenden Smiley versehe, verändere ich die Welt und mache den Unterschied, der nötig ist“, sagt er leicht wehmütig.

Ich frage ihn, ob er das mal reduzieren oder gar aufhören wird, wo er doch schon seit neun Jahren tut, wie er selbst sagt. Mittlerweile ist doch merklich der Weltfrieden eingekehrt, alle Chemtrails wurden verboten, nahezu alle Vergehen der Regierung wurden zugegeben, die Mondlandung wurde als Fake deklariert, die Hinterleute sind hinter Schloss und Riegel und auch Bill Gates wird bald als Echsenmensch enttarnt, Mark Zuckerberg als Cyborg eingesperrt und die im Untergrund lebenden Experimente eingestellt werden. Das Universum von Meta und Co bröckelt.

„Ich werde niemals aufgeben! Ich stehe jeden Morgen extra eine ganze Stunde früher auf, um die Abonnements der fast einhundert Blogs, Telegramkanäle und Facebookseiten durchzuackern.“

Herbert M., Weltveränderer

Er habe auch schon die Überlegung unternommen, eine eigene Seite auf Facebook zu erstellen, um persönlich die Menschen zu erreichen und sie wachzurütteln. „Aber dieser Zuckerberg hat mich schon im Visier. Der ist ohnehin kein Mensch“, weiß er. „Ich sage nur Echsenmenschen. Oder Cyborg. Vermutlich beides“, erörtert er weiter. „Seit er mit Bill Gates gemeinsame Sache macht und durch die ganzen Corona-Impfungen jeder schon einen Chip zur Gedankenkontrolle in sich trägt, ist niemandem mehr zu trauen“, sagt der Ungeimpfte. „Da verlasse ich mich lieber auf Telegram, und bin weiterhin vorsichtig.“

Recht hat er schon – denn mundtot wolle man schließlich jeden irgendwann machen, der die unangenehme Wahrheit sagt und teilt. Viele Kanäle und Seiten werden vom Meta-Universum hinter Facebook im Stundentakt gelöscht. Aber auch Telegram steuert mittlerweile nach, löscht zumindest Kanäle, die Hass verbreiten.

Widerstand!
(Photo by Luis Quintero on Pexels.com)

Das heißt es nur „Aufstehen! Gegenstrom!“, zitiert er eine Gruppe mit dem gleichen Namen. Aber die Stimme des Digitalen ist stumm und unendlich, und kann nicht mundtot gemacht werden.

Zu Hause auf der Couch – der Ort, an dem er am liebsten seinem Schaffen nachgeht – ist er aber sicher. Dort kommt er täglich um halb fünf Uhr von der Möbelmanufaktur nach Hause und liest. Das tut er zwar auch in den Pausen auf der Arbeit, aber hier hat er richtig Zeit.

Meist tut er das noch in der Arbeitskleidung. Seine Frau kümmert sich dabei um das Kind – Julia, sie ist 9 Jahre alt und tanzt gerne – und den Haushalt. Herbert aber teilt, taucht in Unterhaltungen mit anderen, größtenteils Gleichgesinnten ein und verteilt wütende Smileys unter den Posts, die er selbst auch mit einem Like versieht, damit jeder sieht, wie unsagbar ernst ihm die Sache ist.

„Das kann schon mal ein paar Stunden dauern“, sagt er, mit Hinblick auf den schrumpfenden Freundeskreis, für den er sonst diese Zeit verwendet hätte. Ob ihn diese Sache in die Einsamkeit treibt, kann er mir nicht beantworten. Er ist gerade zu sehr in seine Mission vertieft und murmelt gerade in sein Smartphone. Etwas von Parteien, Politikern, und wie er es selbst ganz anders machen würde. „Ich muss das teilen und an alle meine Kontakte weiterleiten – wenn nicht ich Zeit dafür verwende, dann siegen sie! Aufstehen und gegen den Strom! Aufwachen!“

Seine Worte klingen wie Parolen. Ein geheiligtes Mantra. Nur ist es kein Rosenkranz oder anderes religiöses Relikt in seinen Händen, sondern das Smartphone. Immer wieder tippt er auf „Teilen“, immer wieder wackelt ein Daumen hoch unter dem Post, oder ein wütender Smiley als letzte Instanz des kleinen, und doch großen Mannes.

(K)ein Ende in Sicht

Die Frage, ob er in die Politik gehen will, verneint er mit heftigem Kopfschütteln und greift zu einem Doppelkeks. Politik oder Medizin zu studieren, um als Virologe, IT-Experte oder vergleichbar in der echten Politik etwas zu bewegen, hält er für unsinnig und Zeitverschwendung.

„Da oben sind nur Quacksalber, die von nichts eine Ahnung haben und sich nur den Arsch platt sitzen, während sie die eigenen Diäten erhöhen“, weiß Herbert, und teilt einen weiteren Beitrag der Telegram-Seite JETZT! DAS GROSSE ERWACHEN 2022!, der auch dieses Jahr wieder auffordert, eineinhalb Wochen lang nichts zu trinken, um die Wasserindustrie zum Umdenken und Erliegen zu bringen und die verbliebenen Echsenmenschen unter der Erde auszutrocknen.

Die Keule der Neuzeit: Smartphone.
(Photo by Tracy Le Blanc on Pexels.com)

Er teilt noch drei weitere Posts ähnlicher Kanäle, denn der Kampf gegen Bill Gates und die Lügen der Erdölindustrie und damit zusammenhängenden Tankstellen kann nur mit solchen Kanälen eingestampft werden. Zeitgleich ist die Seite WIDERSTAND – Wir lassen uns nicht für dumm verkaufen! auf Facebook nicht erreichbar – Herbert dafür motivierter als vorher. Jede gefallene Instanz wird eine neue erheben lassen.

Herbert hat sich nun doch dazu entschlossen, eine Seite in Facebook zu erstellen und ist ganz vertieft, im Feindesland des Meta-Universums sein Lager zu erschaffen, um in den Krieg gegen Korruption, Ungerechtigkeit und Missstände zu ziehen und alles niederzureißen.

Für mich ist es an der Zeit, den Weltveränderer und Helden der Neuzeit alleine zu lassen. Ich verlasse Herberts Wohnung nach fast drei Stunden Interview und zwei Stück Kuchen. Es ist gut zu wissen, Menschen wie Herbert in der Gesellschaft zu haben. Herbert ist belesen. Herbert ist informiert. Herbert hat nur eine einzelne, leise Stimme, aber er weiß, einen Chor damit zu formen. Herbert hat hierfür Dutzende Kanäle, Hunderte Quellen und ist gewillt, jedes Krümelchen Information unter die Leute zu bringen und mit einem wütenden Smiley zu versehen. Zur Not auch mit einem Daumen hoch für den eigenen Post. Sozusagen das Ultima ratio.

Wer soll die Welt sonst retten, wenn sie droht, im Chaos zu versinken und sich Unternehmen, Multimilliardäre, korrupte Politiker und die von Echsenmenschen, Cyborgs und Aliens unterwanderte Regierung austoben, während sie uns das funktionierende Gehirn, das Geld und Gesundheit aus den Knochen ziehen?

Keine Gespräche, keine Politik und keine Vernunft kann dies bewerkstelligen. Dafür aber der stumme Klick als Organ mit der lautesten Stimme. Das aber braucht Zeit, und viele Teilungen.

Lässt nur hoffen, dass Herbert aus Frankfurt weiterhin bereit ist, den Preis dafür zu bezahlen und diesen Kampf für uns kämpft.

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